Künstliche Intelligenz (KI) hat sich in den letzten Jahren rasant in den Arbeitsalltag vieler Berufstätiger eingeschlichen – mal offensichtlich, mal versteckt. Die Erwartungen sind hoch: Automatisierung, Effizienzsteigerung und die Hoffnung, lästige Routinetätigkeiten loszuwerden, stehen auf der Habenseite.
Gleichzeitig wächst aber auch die Sorge, dass ausgerechnet diese Effizienzgewinne zur Falle werden könnten – etwa, wenn sie in Form höherer Taktung und steigender Arbeitsverdichtung zurückschlagen. Entlastung oder neue Belastung? Diese Frage stellt sich nicht nur für Angestellte, sondern auch für Unternehmen, Gewerkschaften und politische Entscheidungsträger.
Status Quo der KI-Nutzung im Arbeitsalltag
Obwohl KI-Tools wie ChatGPT, Copilot, Jasper oder Notion AI zunehmend populär werden, herrscht ein bemerkenswerter Unterschied zwischen offizieller und inoffizieller Nutzung. Laut einer aktuellen Untersuchung des Rheingold-Instituts im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung geben nur etwa 20 Prozent der Beschäftigten an, im Job offiziell mit KI zu arbeiten. In Wirklichkeit nutzen aber fast doppelt so viele – nämlich rund 45 Prozent – KI-gestützte Anwendungen, um Texte zu analysieren, Tabellen auszuwerten oder Präsentationen zu gestalten.
Diese inoffizielle Nutzung („Schatten-KI“) ist oft Ausdruck einer ambivalenten Haltung: Einerseits wollen viele Arbeitnehmer*innen mit den neuen Technologien experimentieren, andererseits scheuen sie sich davor, offen darüber zu sprechen – aus Angst vor Mehrarbeit oder neuen Erwartungen durch Vorgesetzte.
Zeitersparnis: Zahlen & Studien
Dass KI in der Lage ist, Arbeitszeit zu sparen, belegen zahlreiche Studien. Die Boston Consulting Group fand in einer Untersuchung heraus, dass generative KI bei korrekter Anwendung die Produktivität von Mitarbeitenden um bis zu 33 Prozent steigern kann – bei gleichzeitig höherer Arbeitszufriedenheit. Microsoft zeigte in einer internen Copilot-Studie, dass Bürokräfte bis zu 30 Minuten pro Woche allein bei der E-Mail-Verwaltung einsparen. Zudem fertigten sie Dokumente rund 12 Prozent schneller an.
Auch Unternehmen wie SAP setzen mittlerweile auf generative KI, etwa bei der Erstellung von Zielvereinbarungen über SAP SuccessFactors. Dort wird bei 20.000 Mitarbeitenden pro Jahr rund 9.000 Stunden Arbeitszeit eingespart – das entspricht etwa 9 Minuten pro Zielvereinbarung. In Summe wirkt sich das sowohl auf HR-Prozesse als auch auf die Führungskräfte aus, die deutlich entlastet werden.
Anwendungsbeispiele im Alltag
KI wird in vielen Bereichen bereits heute unterstützend eingesetzt – insbesondere in administrativen Berufen. Office-Anwendungen wie Microsoft 365 Copilot oder Google Workspace AI ermöglichen es, Mails automatisch zusammenzufassen, Termine zu koordinieren, Protokolle zu generieren oder Präsentationen automatisch zu layouten.
Im Marketing und der Kommunikation übernehmen KI-Tools häufig das Text-Brainstorming, die Generierung erster Entwürfe oder sogar das Screening von Nutzerfeedback. In der Projektkoordination helfen smarte Systeme beim Überblick über Aufgaben, Ressourcen und Zeitpläne. Selbst Personalabteilungen nutzen mittlerweile KI zur Vorauswahl von Bewerbungen oder zur Erstellung individueller Entwicklungspläne.
Schattenseite: Verdichtung & Zusatzaufwand
Trotz (oder gerade wegen) der Effizienzgewinne berichten viele Beschäftigte von einer zunehmenden Verdichtung der Arbeit. Was gestern noch ein Arbeitstag war, ist heute in ein paar Stunden zu schaffen – und schafft so paradoxerweise Freiraum, der oft nicht zur Erholung dient, sondern mit neuen Aufgaben gefüllt wird.
Insbesondere Wissensarbeiter erleben, dass KI ihnen zwar Routineaufgaben abnimmt, dafür aber neue Tätigkeiten entstehen: Das Prüfen der KI-Ergebnisse, das Überarbeiten von Vorschlägen, die semantische Feinabstimmung und nicht zuletzt der Versuch, die eigene Arbeit für KI verständlich und strukturiert aufzubereiten. Diese Zusatzarbeit wird oft unterschätzt – und führt nicht selten zu Erschöpfung oder Unzufriedenheit.
Ein weiteres Problem ist die sogenannte performative Arbeit. Laut dem Soziologen Dr. Martin Rusinek besteht eine steigende Tendenz, Arbeitskraft nicht mehr durch Output, sondern durch ständige Sichtbarkeit in Videocalls, Tools und Task-Managern zu legitimieren. Diese „Sichtbarkeitsarbeit“ wird durch KI nicht reduziert – im Gegenteil: Sie kann sogar zunehmen, wenn Arbeit durch KI rationalisiert und dadurch transparenter wird.
Befürchtete Risiken & Skepsis
Neben den Effizienzbedenken gibt es auch tiefere Ängste: etwa den möglichen Abbau von Arbeitsplätzen. Der CEO von Amazon, Andy Jassy, sagte kürzlich, er erwarte, dass große Teile der Büroarbeit künftig durch KI ersetzt würden – eine Prognose, die viele Beschäftigte verunsichert.
Laut einer Erhebung des Digitalverbands Bitkom äußern rund 20 Prozent der Befragten konkrete Sorgen über die Auswirkungen von KI auf ihre Arbeitsstelle. Nur ein Drittel zeigt sich grundsätzlich zuversichtlich gegenüber den Entwicklungen. Ein zentraler Grund für die Skepsis ist mangelnde Transparenz: Wenn unklar bleibt, wie und warum KI zu bestimmten Ergebnissen kommt, entsteht Misstrauen – was wiederum zu vermehrtem Kontrollaufwand führt.
Voraussetzungen für positive Nutzung
Damit KI im Arbeitsalltag tatsächlich entlastet und nicht belastet, sind bestimmte Rahmenbedingungen entscheidend. Zunächst braucht es Kompetenzerwerb: Beschäftigte müssen lernen, mit KI richtig umzugehen, ihre Stärken zu nutzen, aber auch ihre Schwächen zu kennen. Dazu gehört auch das Wissen um mögliche Fehlschlüsse, Verzerrungen (Bias) und ethische Implikationen.
Psychologische Sicherheit spielt ebenfalls eine zentrale Rolle. Wenn Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sich sicher fühlen, KI offen und kreativ einzusetzen, ohne mit zusätzlichen Aufgaben „belohnt“ zu werden, können Innovationen entstehen. Eine offene Unternehmenskultur, in der der KI-Einsatz als gemeinschaftliches Experiment betrachtet wird, ist dabei förderlich.
Nicht zuletzt sind transparente Regeln wichtig: Der europäische AI Act soll zukünftig Standards für den KI-Einsatz in Unternehmen definieren. Ergänzend dazu braucht es aber auch innerbetriebliche Vereinbarungen, die Mitbestimmung und Verantwortlichkeiten klar regeln – sowohl technisch als auch organisatorisch.
Blick über den Tellerrand
Deutschland steht beim KI-Einsatz im internationalen Vergleich eher am Anfang, holt aber auf. Laut einer Bitkom-Studie planen über 70 Prozent der deutschen Unternehmen, bis 2027 generative KI breitflächig zu implementieren – nicht nur in der Verwaltung, sondern auch in Produktion, Logistik, Buchhaltung und juristischen Abteilungen.
So zeigt sich bereits heute eine vielfältige Branchenanwendung: In der Logistik analysiert KI Verkehrsdaten in Echtzeit, im Personalwesen übernimmt sie Matching-Prozesse, im Steuerrecht erstellt sie Entwürfe für Standardformulierungen. Damit wandelt sich nicht nur die Art der Tätigkeiten – auch die Anforderungen an Mitarbeiter*innen verändern sich grundlegend.
Menschengerechter KI-Einsatz
Die Frage, ob KI im Arbeitsalltag eine Zeitersparnis oder doch eher eine höhere Taktung bedeutet, lässt sich nicht pauschal beantworten. In der Praxis zeigt sich ein ambivalenter Befund: Ja, KI kann entlasten – wenn sie richtig eingesetzt wird. Aber sie kann auch zu einer neuen Form des Arbeitsdrucks führen, wenn Unternehmen die frei gewordene Zeit nicht in kreative Freiräume, sondern in noch mehr Output investieren.
Die zentrale Herausforderung liegt darin, den Einsatz von KI menschengerecht zu gestalten. Dazu braucht es klare Spielregeln, Weiterbildungsangebote, psychologische Sicherheit und ein Bewusstsein dafür, dass Effizienz nicht zum Selbstzweck wird. KI ist kein Allheilmittel – aber ein potenter Assistent, der helfen kann, Arbeit besser zu machen. Ob er das tut, hängt nicht von der Technologie ab, sondern von der Art, wie wir sie gestalten.
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