In einer zunehmend individualisierten und herausfordernden Welt wird das Ehrenamt zu einem stabilisierenden Faktor in der Gesellschaft.
Ob Nachhilfe für benachteiligte Kinder, die freiwillige Feuerwehr, die Hilfe für Geflüchtete aus der Ukraine oder das Engagement im lokalen Sportverein – freiwillige Tätigkeiten sind aus dem sozialen Gefüge Deutschlands nicht mehr wegzudenken. Sie stiften Sinn, fördern Zusammenhalt und entlasten staatliche Strukturen. Neueste Zahlen belegen: Die Bereitschaft zum Ehrenamt nimmt zu. Damit rückt das Thema mehr denn je in den Fokus gesellschaftlicher und politischer Debatten.
Fakten & Zahlen – Stand Ende 2019
Laut dem Freiwilligensurvey 2019, der vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend herausgegeben wird, engagierten sich knapp 40 % der Menschen ab 14 Jahren in Deutschland ehrenamtlich. Dies entspricht rund 28,8 Millionen Personen. Seit Beginn der Erhebung 1999 ist die Quote kontinuierlich gestiegen.
Kennzahl | Wert |
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Anteil Engagierter (ab 14 J.) | 39,7 % (2019) |
Entwicklung 1999 → 2019 | 30,9 % → 39,7 % |
Engagement nach Sektor | Sport (13,5 %), Kultur/Musik (8,6 %), Soziales (8,3 %), Bildung (8,2 %) |
Wöchentlicher Zeitaufwand | ≤ 2 h: 60 %, ≥ 6 h: 17,1 % |
Bemerkenswert ist, dass viele der Ehrenamtlichen nur einen geringen Zeitaufwand betreiben – was zeigt, dass bereits kleine Beiträge summiert große Wirkung entfalten. Der Anteil derjenigen, die mehr als sechs Stunden wöchentlich investieren, ist im Vergleich zu 1999 gesunken. Das Engagement wird also flexibler.
Demographische Trends & soziale Disparitäten
Das Engagement ist nicht gleichmäßig über alle Bevölkerungsgruppen verteilt. Unterschiedliche Faktoren wie Alter, Bildung, Herkunft und Wohnort beeinflussen die Bereitschaft zum Ehrenamt erheblich.
Kategorie | Engagementquote |
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Alter 30–49 Jahre | 44,7 % |
Junge Erwachsene (14–29) | 42,0 % |
Senior:innen (ab 65) | 31,2 % |
Höhere Bildung | 51,1 % |
Geringe Bildung | 26,3 % |
Westdeutschland | 40,4 % |
Ostdeutschland | 37,0 % |
Menschen ohne Migrationshintergrund | 44,4 % |
Menschen mit Migrationshintergrund | 27,0 % |
Dabei fällt besonders auf, dass das Engagement bei höherem Bildungsniveau deutlich ausgeprägter ist. Auch junge Menschen engagieren sich wieder vermehrt, was durch schulische Projekte und digitale Zugangsmöglichkeiten begünstigt wird. Der Rückstand beim Engagement von Menschen mit Migrationshintergrund zeigt jedoch, dass hier gezielte Integration notwendig ist.
Engagement in Krisenzeiten – neueste Daten
Krisen wie die Corona-Pandemie, der Ukraine-Krieg oder die Flutkatastrophe im Ahrtal haben die Wichtigkeit des Ehrenamts noch einmal unterstrichen. Viele Menschen haben spontan geholfen – sei es bei der Versorgung von Betroffenen oder in der Notunterkunft. Eine Forsa-Umfrage aus 2022 zeigte, dass knapp 49 % der Bevölkerung sich in irgendeiner Form für Geflüchtete aus der Ukraine engagiert hatten.
Auch der Bereich des Katastrophen- und Zivilschutzes hat an Bedeutung gewonnen. Laut dem Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) waren 2025 rund 1,76 Millionen Menschen ehrenamtlich in diesem Bereich aktiv – etwa 3 % der Gesamtbevölkerung.
Motive & Nutzen für Ehrenamtliche
Warum engagieren sich Menschen freiwillig und unbezahlt? Die Antworten darauf sind vielfältig. Psychologische Studien und Befragungen wie der Freiwilligensurvey nennen als häufigste Beweggründe:
- der Wunsch, etwas Sinnvolles zu tun
- Verantwortung für die Gesellschaft zu übernehmen
- soziale Kontakte zu knüpfen
- persönliche Entwicklung und Kompetenzerwerb
- Erfahrungen für Ausbildung oder Beruf
- Wiedereinstieg nach Arbeitslosigkeit oder Elternzeit
Insbesondere bei jungen Erwachsenen spielt auch der Nutzen für den Lebenslauf eine Rolle. Gleichzeitig berichten viele Engagierte von einer Steigerung ihres Selbstwertgefühls, dem Gefühl der Selbstwirksamkeit und einem erweiterten sozialen Netzwerk.
Herausforderungen & Perspektiven
Trotz der steigenden Zahlen bleibt das Ehrenamt vor strukturellen Herausforderungen nicht verschont. Viele Engagierte klagen über mangelnde Anerkennung, bürokratische Hürden und fehlende Ressourcen. Eine Umfrage des NDR zeigt, dass 76 % der Engagierten sich eine stärkere gesellschaftliche und politische Wertschätzung wünschen.
Führungskräfte-Mangel
In vielen Vereinen fehlt es an Menschen, die Leitungspositionen übernehmen wollen – sei es der Vereinsvorstand oder die Organisation von Veranstaltungen. Auch im Katastrophenschutz wird ein wachsender Bedarf an Führungskräften und koordinierenden Ehrenamtlichen registriert.
Gefahr der Überforderung
Ein häufig geäußerter Kritikpunkt: Das Ehrenamt dürfe nicht Lücken schließen, die der Staat hinterlässt. Vor allem bei Pflege, Betreuung und Integrationsaufgaben stoßen Engagierte an die Grenzen ihrer Belastbarkeit. Institutionelle Unterstützung bleibt oft aus.
Stadt-Land-Gefälle
Während auf dem Land viele Menschen traditionell in Feuerwehr, Kirchengemeinden oder Vereinen aktiv sind, ist in Großstädten die Engagementquote deutlich geringer. Neue Formate wie „Corporate Volunteering“ oder „Online-Volunteering“ könnten helfen, urbane Zielgruppen zu erreichen.
Digitalisierung
Digitale Plattformen wie „Vostel“, „GoVolunteer“ oder Ehrenamts-Apps erleichtern die Vermittlung und Flexibilisierung von Engagement. Gleichzeitig bedarf es technischer und rechtlicher Unterstützung für Vereine, um den digitalen Wandel mitzugestalten.
Handlungsempfehlungen
Um das Ehrenamt nachhaltig zu stärken, braucht es strukturelle, gesellschaftliche und politische Impulse. Dazu gehören:
- Mehr Anerkennung: Einführung oder Ausbau von Ehrenamtskarten, Zugang zu Weiterbildungen, öffentliche Auszeichnungen.
- Steuerliche Anreize: Übungsleiterpauschale ausweiten, Ehrenamtsfreibeträge erhöhen.
- Förderprogramme: Zuschüsse für Infrastruktur, digitale Ausstattung, professionelle Begleitung.
- Ansprache neuer Zielgruppen: interkulturelle Öffnung, niedrigschwellige Angebote, Förderung von Vielfalt.
- Qualifizierung: Schulung von Führungskräften, rechtliche und organisatorische Fortbildungen.
Für Zusammenhalt, Solidarität und Demokratie
Das Ehrenamt in Deutschland befindet sich in einer stabilen Aufwärtsbewegung. Trotz gesellschaftlicher Herausforderungen ist die Bereitschaft, sich für andere einzusetzen, bemerkenswert hoch. Fast 40 % der Bevölkerung ab 14 Jahren engagieren sich regelmäßig – in Sportvereinen, sozialen Einrichtungen, Kirchen oder im Katastrophenschutz. Gerade in Krisenzeiten zeigt sich der unschätzbare Wert des freiwilligen Engagements.
Doch das Ehrenamt braucht strukturelle Unterstützung: mehr Wertschätzung, bessere Bedingungen, digitale Hilfsmittel und politische Klarheit über seine Rolle. Denn nur, wenn Engagierte nicht überfordert werden, sondern auf ein starkes Netzwerk und eine fördernde Umgebung bauen können, bleibt das Ehrenamt ein Zukunftsmodell – für Zusammenhalt, Solidarität und Demokratie.