In den letzten Jahren hat sich die Coaching-Branche in Deutschland zu einem wahren Boom-Markt entwickelt. Ob Business-Coaching, Persönlichkeitsentwicklung oder Mindset-Training – das Angebot ist so vielfältig wie unübersichtlich.
Dabei versprechen viele Anbieter ihren Kunden nicht weniger als ein neues Leben: mehr Erfolg, mehr Geld, mehr Selbstbewusstsein. Doch hinter diesen Hochglanzversprechungen lauern zunehmend dubiose Geschäftsmodelle, die Menschen in existenzielle Not bringen können. Der Verdacht: systematische Abzocke unter dem Deckmantel der Selbstverwirklichung.
Der Boom der Coaching-Industrie
Die Coaching-Branche wächst seit Jahren rasant. Laut Schätzungen des Deutschen Bundesverbands Coaching (DBVC) arbeiten allein in Deutschland über 30.000 Menschen als Coaches – Tendenz steigend. Verstärkt durch die Pandemie und den Trend zu Online-Angeboten, hat sich die Zahl der Coachings und Ausbildungen vervielfacht. Menschen suchen Orientierung, Selbstverwirklichung, berufliche Veränderung – und stoßen dabei auf zahllose Anbieter, die ihre Dienste über Social Media, YouTube oder Webinare bewerben.
Coaching ist längst nicht mehr nur ein Instrument für Manager oder Top-Führungskräfte. Der Markt hat sich demokratisiert: Jeder kann Coach sein, und jede*r kann Coaching in Anspruch nehmen. Doch genau darin liegt das Problem – denn während der Markt explodiert, fehlen klare Standards und gesetzliche Regelungen.
Grauzonen und fehlende Regulierung
Der Begriff „Coach“ ist in Deutschland rechtlich nicht geschützt. Jeder darf sich Coach nennen, unabhängig von Ausbildung, Erfahrung oder Fachkenntnissen. Auch Coaching-Ausbildungen unterliegen keiner einheitlichen staatlichen Kontrolle. Das führt zu einer schwer überschaubaren Landschaft von Anbietern, Zertifikaten und Kursmodellen – von Wochenendseminaren bis hin zu einjährigen Online-Programmen für fünfstellige Beträge.
Seriöse Anbieter setzen auf anerkannte Methoden, fundierte psychologische Grundlagen und Supervision. Doch auf der anderen Seite wächst die Zahl der Anbieter, die aus dem boomenden Markt Kapital schlagen wollen – ohne Rücksicht auf Qualität oder Ethik. Der Wildwuchs in der Coaching-Szene macht es Interessierten schwer, seriöse Offerten von unseriösen zu unterscheiden.
Methoden unseriöser Anbieter
Einige Anbieter verfolgen höchst fragwürdige Verkaufspraktiken, die eher an aggressive Verkaufsmaschen als an professionelle Beratung erinnern. Die Methoden gleichen sich oft:
- Unrealistische Erfolgsgarantien: Mit Aussagen wie „Werde in 12 Wochen zum 6-stelligen Coach“ oder „Baue dir ein skalierbares Online-Business ohne Vorkenntnisse auf“ werden Hoffnungen geweckt, die kaum erfüllbar sind. Erfolg wird als fast automatisches Ergebnis der Teilnahme dargestellt – ohne konkrete oder realistische Grundlage.
- Hohe Vorauszahlungen: Teilnehmer werden aufgefordert, mehrere Tausend Euro im Voraus zu zahlen – oft für Leistungen, deren Inhalt nur vage beschrieben ist. Rücktritts- oder Rückzahlungsmöglichkeiten fehlen häufig.
- Druckausübung: In Verkaufsgesprächen werden potenzielle Teilnehmer unter psychologischen Druck gesetzt: Wer zögert, wird als „nicht bereit für den nächsten Schritt“ oder „von inneren Blockaden gefangen“ abgestempelt. Die Devise lautet: Jetzt oder nie!
- Pseudowissenschaftliche Rhetorik: Viele Angebote mischen spirituelle Narrative mit businessorientierter Rhetorik. Es geht um „Frequenz“, „Energiearbeit“, „Manifestation von Fülle“ – Begriffe, die inhaltlich kaum greifbar sind, aber eine große emotionale Wirkung entfalten.
- Abschottung von Kritik: Wer während des Programms kritische Fragen stellt, wird oft ausgeschlossen oder öffentlich bloßgestellt. Gruppeninterne Dynamiken ähneln teils sektenartigen Strukturen.
Diese Praxis bleibt nicht ohne Konsequenzen: Menschen verschulden sich, kündigen ihre Jobs in der Hoffnung auf ein Coaching-Business – und stehen am Ende ohne Einkommen oder berufliche Perspektive da.
Fallbeispiele: Zwischen Lebenskrise und Schuldenfalle
Wie dramatisch die Folgen unseriöser Coaching-Ausbildungen sein können, zeigen Berichte von Betroffenen. In einem Fall, der unter anderem im Beitrag des RND („Akte XY: Wie dubiose Coaching-Firmen Menschen ausnehmen“) thematisiert wurde, zahlte eine junge Frau 25.000 Euro für ein Mentoring-Programm. Versprochen wurde ihr, sie würde lernen, innerhalb von Monaten ein eigenes Online-Business aufzubauen. Doch weder erhielt sie brauchbare Inhalte noch individuelle Betreuung. Rückfragen wurden als Mangel an „Mindset“ abgetan. Als sie ihre Teilnahme kündigte, wurde sie mit Drohungen und Mahnungen überzogen.
Ein anderer Fall betrifft einen Mann, der sich in einer beruflichen Umbruchsituation befand. Er ließ sich in einem kostenlosen Beratungsgespräch zu einer sofortigen Zahlung von 12.000 Euro für eine Online-Ausbildung überreden – mit dem Versprechen, nach drei Monaten „hochpreisige Coachings verkaufen“ zu können. Nach wenigen Wochen wurde er aus der Online-Gruppe ausgeschlossen, da er den Sinn der Methoden in Frage stellte. Eine Rückzahlung wurde verweigert, die Schulden blieben.
Diese Fälle sind keine Einzelfälle. Auch die Verbraucherzentralen berichten von einem steigenden Beratungsaufkommen zu Coaching-Angeboten – mit ähnlichen Mustern.
Rechtliche Aspekte und Möglichkeiten zur Rückforderung
Wer Opfer solcher Methoden geworden ist, steht oft vor einem Berg unbezahlter Rechnungen und dem Gefühl, rechtlich machtlos zu sein. Doch es gibt juristische Möglichkeiten, sich zu wehren.
- Sittenwidrigkeit und Wucher: Verträge mit einem krassen Missverhältnis zwischen Leistung und Preis können unter Umständen als sittenwidrig (§ 138 BGB) gelten und damit nichtig sein. Besonders, wenn psychologische Manipulation nachweisbar ist.
- Fernunterrichtsschutzgesetz (FernUSG): Viele Coaching-Programme fallen unter das FernUSG, das bestimmte Anforderungen an Fernlehrgänge stellt. Fehlt eine staatliche Zulassung durch die ZFU (Zentralstelle für Fernunterricht), sind diese Verträge nach § 7 FernUSG nichtig. Teilnehmer können bereits gezahlte Beträge zurückverlangen.
- Urteile zugunsten von Verbrauchern: Inzwischen gibt es mehrere Urteile deutscher Gerichte, in denen Coaching-Verträge für unwirksam erklärt wurden, da keine ZFU-Zulassung vorlag oder weil die Inhalte nicht klar definiert waren.
Es empfiehlt sich, anwaltliche Hilfe in Anspruch zu nehmen und den Vertrag prüfen zu lassen. Auch Ratenzahlungsvereinbarungen und Inkassoschreiben sollten rechtlich überprüft werden – nicht selten handelt es sich um Einschüchterungstaktiken.
Tipps zur Erkennung seriöser Coaching-Angebote
Damit es gar nicht erst so weit kommt, sollten Interessierte Coaching-Ausbildungen vorab kritisch prüfen. Folgende Punkte helfen bei der Orientierung:
- Qualifikation prüfen: Welche Ausbildung hat der Coach? Welche Erfahrungen weist er nach? Gibt es Referenzen oder belegbare Erfolgsbeispiele?
- Vertragliche Klarheit: Gibt es einen schriftlichen Vertrag mit transparenten AGB, Widerrufsrecht und nachvollziehbaren Kosten?
- Zielsetzung und Inhalte: Sind die Ziele realistisch formuliert? Werden konkrete Inhalte vermittelt oder bleiben diese vage?
- ZFU-Zulassung bei Online-Formaten: Besonders bei längerfristigen Online-Ausbildungen lohnt es sich, die Zulassung der Zentralstelle für Fernunterricht zu prüfen.
- Probetermine oder Beratungsgespräch ohne Verkaufsdruck: Ein seriöser Coach gibt Raum für Reflexion und drängt nicht auf sofortige Vertragsabschlüsse.
- Austausch mit Ehemaligen: Wer an früheren Kursen teilgenommen hat, kann wertvolle Einblicke geben – sowohl positiv als auch negativ.
Regulierung und Aufklärung sind überfällig
Die Coaching-Branche ist ein Spiegel unserer Zeit: Sie zeigt den Wunsch vieler Menschen nach Sinn, Selbstverwirklichung und persönlicher Entwicklung. Doch wo Sehnsüchte groß sind, ist auch die Gefahr der Ausbeutung gegeben. Die derzeitige rechtliche Grauzone bietet unseriösen Anbietern ein Einfallstor, das dringend geschlossen werden muss.
Notwendig sind klare gesetzliche Regelungen, z. B. eine geschützte Berufsbezeichnung, verpflichtende Qualitätsstandards für Ausbildungen und eine stärkere Kontrolle durch die ZFU. Gleichzeitig braucht es mehr öffentliche Aufklärung – durch Medien, Verbraucherzentralen und unabhängige Fachverbände.
Für Ratsuchende gilt: Nicht jedes Coaching ist schlecht – aber nicht alles, was teuer ist, bringt echten Mehrwert. Die wichtigste Regel bleibt: Hinterfragen, prüfen, vergleichen – und erst dann entscheiden