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KMU und die Bedeutung ländlicher Räume als Wirtschaftsraum

Ländliche Regionen prägen nicht nur das geografische, sondern auch das wirtschaftliche Bild Deutschlands. Etwa 90 Prozent der Fläche gelten als ländlich geprägt – und entgegen gängiger Vorstellungen findet dort nicht nur Landwirtschaft statt. Vielmehr erwirtschaften ländliche Räume fast die Hälfte der deutschen Wirtschaftsleistung, ein Großteil davon durch kleine und mittlere Unternehmen (KMU). Dieses Zusammenspiel macht sie zu einem unterschätzten, aber unverzichtbaren Teil des wirtschaftlichen Rückgrats der Bundesrepublik.

KMU in Deutschland – Fundament der Wirtschaft

Kleine und mittlere Unternehmen machen laut Statistischem Bundesamt rund 99,4 Prozent aller Unternehmen in Deutschland aus. Sie beschäftigen etwa 60 Prozent aller sozialversicherungspflichtigen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und stellen mehr als 80 Prozent der Ausbildungsplätze. Auch volkswirtschaftlich sind sie bedeutend: Rund 35 Prozent des Umsatzes in Deutschland entfallen auf KMU.

Laut einer Studie des Instituts für Mittelstandsforschung (IfM) sind KMU vor allem in den Branchen Handwerk, Dienstleistungen, Maschinenbau, Bauwirtschaft und Nahrungsmittelproduktion aktiv – viele davon mit Sitz in ländlichen Regionen. Ihre Betriebsstrukturen sind geprägt durch Familienführung, langfristige Orientierung und starke regionale Bindung.

Ländliche Räume als Wirtschaftsstandort

Etwa die Hälfte der Bevölkerung Deutschlands lebt im ländlichen Raum. Was lange als strukturschwach galt, offenbart sich zunehmend als Standortvorteil. Im Bundesland Baden-Württemberg beispielsweise liegen 41 Prozent der wirtschaftlichen Wertschöpfung außerhalb der großen Städte. Auch Regionen wie das Allgäu, Ostwestfalen oder die Eifel zeigen, dass ländliche Gebiete nicht nur „mitlaufen“, sondern vielfach Innovation und Beschäftigung schaffen.

Entgegen weit verbreiteter Vorstellungen spielt die Landwirtschaft als Arbeitgeber nur noch eine Nebenrolle. Weniger als 10 Prozent der Erwerbstätigen im ländlichen Raum arbeiten heute in der Landwirtschaft. Stattdessen dominieren das verarbeitende Gewerbe, das Bauwesen sowie wissensintensive Dienstleistungen.

Entwicklungstreiber und struktureller Wandel

Vier Megatrends wirken besonders stark auf den ländlichen Raum und seine KMU ein: Demografie, Digitalisierung, Dekarbonisierung und Deglobalisierung. Diese „vier D’s“ verändern nicht nur die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, sondern eröffnen auch neue Chancen für Regionalentwicklung.

Beispiel Digitalisierung: Der Ausbau von Glasfaser- und 5G-Netzen in ländlichen Gebieten ermöglicht es KMU, ortsunabhängig zu arbeiten und digitale Geschäftsmodelle zu entwickeln. In Ostwestfalen etwa haben Unternehmen wie Miele, Phoenix Contact oder Melitta ihre Wurzeln im ländlichen Raum und nutzen aktiv die Digitalisierung zur Wettbewerbsstärkung.

Potenziale und Herausforderungen der KMU im ländlichen Raum

Stärken

KMU auf dem Land sind oft tief in ihrer Region verwurzelt. Sie pflegen langfristige Kundenbeziehungen, sind eng mit lokalen Ausbildungsstätten verbunden und übernehmen Verantwortung für gesellschaftliches Leben – etwa durch Vereinsförderung oder lokale Stiftungen.

Ein weiteres Merkmal ist die Spezialisierung auf Nischenmärkte. Zahlreiche „Hidden Champions“ – also weltweit erfolgreiche Mittelständler mit hoher Spezialisierung – stammen aus ländlichen Regionen. So etwa der Maschinenbauer TRUMPF aus Ditzingen oder die Firma Binder GmbH, ein Labortechnikhersteller aus Tuttlingen. Diese Unternehmen kombinieren technologische Spitzenleistung mit hoher Fertigungstiefe und agieren dennoch stark regional gebunden.

Herausforderungen

Gleichzeitig kämpfen KMU im ländlichen Raum mit strukturellen Defiziten. Der Mangel an Fachkräften gehört dabei zu den gravierendsten Problemen. Laut KOFA-Studie (Kompetenzzentrum Fachkräftesicherung) fehlen besonders im Handwerk, in der Pflege sowie in IT und Bildung qualifizierte Arbeitskräfte. Die demografische Entwicklung – viele junge Menschen ziehen in urbane Zentren – verschärft diese Situation.

Zudem ist die Produktivität in bestimmten ländlichen Branchen geringer als in urbanen Regionen. Eine Analyse der Bertelsmann Stiftung zeigt, dass KMU im Schnitt weniger in Forschung und Entwicklung investieren, was sich langfristig auf Innovationskraft und Wettbewerbsfähigkeit auswirken kann.

Förderpolitik und wirtschaftliche Unterstützung

Um diesen Herausforderungen zu begegnen, spielen staatliche Förderinstrumente eine entscheidende Rolle. Die „Gemeinschaftsaufgabe Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ (GRW) ist dabei das zentrale Mittel der Bundesregierung. Sie unterstützt Investitionen von KMU in strukturschwachen Regionen – etwa bei Betriebserweiterungen, Digitalisierungsvorhaben oder Energieeffizienzprojekten.

Laut Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz flossen 2023 rund 650 Millionen Euro an GRW-Mitteln in Projekte des Mittelstands. Eine Evaluation des Instituts für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) zeigt, dass jeder investierte Euro in GRW-Förderung durchschnittlich 1,50 Euro an regionaler Wertschöpfung erzeugt.

Ergänzt wird dies durch europäische Programme wie LEADER, die auf endogene Regionalentwicklung setzen. Hierbei stehen lokale Aktionsgruppen im Zentrum, die Projekte eigenständig priorisieren – etwa Nahversorgungslösungen, regionale Wertschöpfungsketten oder soziale Innovationen.

Innovationsbeispiele aus ländlichen Regionen

Ein gelungenes Beispiel für ganzheitliche Regionalentwicklung ist die Initiative „100 % Valposchiavo“ in der Schweiz. In dieser Bergregion vernetzen sich KMU aus Landwirtschaft, Lebensmittelverarbeitung und Tourismus, um durch regionale Produkte und Dienstleistungen Wertschöpfung vor Ort zu halten. Inzwischen gilt das Projekt als europaweites Vorbild für nachhaltige Regionalentwicklung.

Auch in Deutschland entstehen Modellregionen für nachhaltige Kreislaufwirtschaft. In der Uckermark etwa wird mit EU-Mitteln ein Pilotprojekt umgesetzt, bei dem Bioenergie, regionale Lebensmittelproduktion und Digitalisierung zusammengeführt werden, um ländliche Wirtschaft neu zu denken.

Medienbild und Realität – Warum der ländliche Raum unterschätzt wird

Der Eindruck, dass der ländliche Raum „abgehängt“ sei, hält sich hartnäckig – obwohl Studien und Reportagen wie vom RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) das Gegenteil zeigen. Im Artikel „Deutschlands ländlicher Raum – warum die Wirtschaft dort stärker ist als gedacht“ wird deutlich, dass viele Regionen längst digitalisiert, international vernetzt und innovativ sind. Dorfläden mit Lieferdiensten, Coworking-Spaces im ehemaligen Stall, Homeoffice im Schwarzwald: Der Wandel ist real.

„Die alten Klischees stimmen einfach nicht mehr“, sagt der Regionalökonom Prof. Gerhard Henkel. „Wer sich ländliche Räume heute genau anschaut, entdeckt dort sehr oft wirtschaftliche Kraftzentren mit hoher Lebensqualität.“

Handlungsempfehlungen

  • Für KMU: Aktive Beteiligung an regionalen Wirtschaftsnetzwerken, Nutzung von Digitalisierungs- und Förderprogrammen, Entwicklung flexibler Arbeitsmodelle zur Fachkräftebindung.
  • Für Politik: Ausbau schneller Breitbandnetze, Förderung klimafreundlicher Mobilität, stärkere Verzahnung von Bildung, Handwerk und Wirtschaft, Aufwertung regionaler Wertschöpfung durch gezielte Programme.

Ein unterschätzter Wachstumsraum

Die ländlichen Räume Deutschlands sind kein Auslaufmodell, sondern ein unterschätzter Wachstumsraum. In ihnen verbinden sich Tradition, Innovationskraft und soziale Verantwortung. KMU spielen dabei eine Schlüsselrolle – nicht nur als Arbeitgeber, sondern auch als Treiber wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Resilienz.

Mit der richtigen Unterstützung durch Politik, Förderprogramme und Vernetzung können sie ihre Rolle weiter stärken – als stabile Säulen einer zukunftsfähigen, dezentralen Wirtschaftsstruktur.

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