Beruf

Bundesagentur für Arbeit: Vom Arbeitsmarktakteur zur Verwaltungsbehörde?

Die Bundesagentur für Arbeit (BA) steht als zentrale Institution des deutschen Arbeitsmarkts zunehmend in der Kritik. Einst galt sie als aktiver Vermittler von Jobs – heute aber mehren sich Stimmen, die von einem Rückzug in bürokratische Strukturen sprechen.

Laut aktuellen Zahlen vermittelt die BA so wenige Menschen in Arbeit wie seit Jahren nicht mehr. Gleichzeitig nimmt die Zahl der Beschäftigten in der Behörde nicht etwa ab, sondern wächst. Was steckt hinter dieser Entwicklung, und welche Folgen hat sie für Arbeitssuchende?

Einbruch bei Jobvermittlungen: Ein historischer Tiefpunkt

Im Jahr 2024 wurden laut interner Statistiken nur noch rund 4,9 Prozent aller Beschäftigungsaufnahmen in Deutschland direkt durch die Bundesagentur für Arbeit vermittelt. Zum Vergleich: 2015 lag dieser Anteil noch bei 13,2 Prozent. Damit ist ein dramatischer Rückgang um mehr als die Hälfte innerhalb weniger Jahre zu verzeichnen.

Diese Zahlen sind nicht nur statistisch bemerkenswert, sondern auch gesellschaftlich relevant. „Nie seit Corona war die Lage für Arbeitsuchende so schlecht“, sagte BA-Chefin Andrea Nahles im Juni 2025 und sprach damit vielen Betroffenen aus der Seele. Besonders gering Qualifizierte, Alleinerziehende und Menschen mit gesundheitlichen Einschränkungen seien von der sinkenden Vermittlungsleistung betroffen.

Personalabbau bei Vermittlerstellen – und gleichzeitiges Personalwachstum

Ein wesentlicher Grund für den Rückgang der erfolgreichen Vermittlungen liegt in einem internen Umbau: Die Zahl der Vollzeitstellen in der direkten Arbeitsvermittlung sank von rund 19.600 im Jahr 2015 auf nur noch etwa 13.940 im Jahr 2024. Das entspricht einem Rückgang von über 30 Prozent.

Gleichzeitig wuchs die Gesamtmitarbeiterzahl der BA auf über 101.000 Vollzeitäquivalente. Besonders bemerkenswert: Der Personalaufwand der Bundesagentur lag zuletzt bei rund 5,58 Milliarden Euro jährlich – eine Summe, die nach Ansicht vieler Kritiker in einem fragwürdigen Verhältnis zur Leistung steht. „Es wirkt fast so, als verlagere sich die BA von der aktiven Vermittlung zur Verwaltungsmaschine“, kommentierte ein Insider aus dem Verwaltungsrat der Behörde anonym.

Strukturelle Ursachen und Aufgabenverschiebung

Die BA hat in den vergangenen Jahren ihre Aufgaben neu priorisiert. Während Vermittlungsstellen gekürzt wurden, wuchs der Personalbestand in Bereichen wie Familienkassen, Weiterbildungsmanagement, Jobcenter-Unterstützung und interner Verwaltung. BA-intern spricht man von einer „Multiplikation der Anforderungen“ und einem „Spagat zwischen aktivem Arbeitsmarkt und gesetzlicher Steuerung“.

Ein ehemaliger Fallmanager aus NRW schilderte gegenüber einem Lokalmedium: „Früher habe ich bis zu 25 Menschen am Tag in persönlichen Gesprächen betreut. Heute bin ich froh, wenn ich fünf Vermittlungsgespräche in der Woche führen kann – weil alles mit Bürokratie und Dokumentation blockiert ist.“

Konjunkturelle Schwäche verschärft die Situation

Neben der internen Umstrukturierung spielt auch die gesamtwirtschaftliche Lage eine wichtige Rolle. Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) berichtete Anfang 2025 von einem Rückgang der offenen Stellen um etwa 25 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Damit sinken die Chancen für erfolgreiche Vermittlungen nicht nur wegen interner Umstände, sondern auch wegen der schwächelnden Konjunktur.

Andrea Nahles betonte in einer Pressekonferenz: „Wir dürfen die wirtschaftliche Gesamtlage nicht außer Acht lassen. Weniger offene Stellen bedeuten automatisch weniger Vermittlungsmöglichkeiten.“ Trotzdem stellt sich die Frage, warum in wirtschaftlich schwierigen Zeiten nicht gerade mehr Ressourcen in die Vermittlung investiert werden.

Betroffene ohne echte Alternativen

Für viele Arbeitssuchende hat die Entwicklung handfeste Konsequenzen. Eine 52-jährige Frau aus Leipzig, die nach einer Firmeninsolvenz arbeitslos wurde, schilderte ihre Erfahrungen so: „Ich hatte drei Beratungsgespräche in acht Monaten. Jedes Mal ein anderer Ansprechpartner, jedes Mal nur allgemeine Floskeln. Bewerbungen muss ich mir selbst suchen. Unterstützung? Fehlanzeige.“

Solche Erfahrungsberichte mehren sich. Vor allem Langzeitarbeitslose fühlen sich zunehmend allein gelassen. Ohne aktive Hilfe durch geschulte Vermittler sinkt die Chance auf eine dauerhafte Rückkehr in den Arbeitsmarkt drastisch.

Verschiebung zu digitalen Angeboten

Die BA setzt inzwischen stärker auf digitale Vermittlungskanäle wie die Jobbörse unter „arbeitsagentur.de“. Doch gerade ältere Menschen oder jene ohne gute digitale Kompetenzen profitieren davon kaum. Auch fehlen oft die Kapazitäten, um Bewerber auf Online-Bewerbungsprozesse gezielt vorzubereiten.

Ein Beispiel: Die Plattform „Jobbörse“ listet zwar tausende Stellen – doch der Algorithmus ist nicht personalisiert genug, um passgenaue Vorschläge zu machen. Eine Pflegehelferin aus Berlin berichtete: „Ich bekomme regelmäßig IT-Jobs angezeigt, obwohl ich das nie angegeben habe.“

Expertensicht: Vermittlungsquote ist „nicht mehr zeitgemäß“

Wirtschaftsexperten sehen das Problem differenziert. Der Arbeitsmarktforscher Enzo Weber vom IAB erklärte in einem Interview: „Die BA ist heute weniger Arbeitsvermittler und mehr Systemverwalter. Die Vermittlung von Jobs übernehmen zunehmend private Akteure, Online-Plattformen und Netzwerke.“

Doch auch Weber mahnt: „Gerade für Menschen, die auf persönliche Unterstützung angewiesen sind, braucht es eine leistungsfähige, staatliche Vermittlungsstruktur. Sonst riskieren wir einen strukturellen Ausschluss breiter Bevölkerungsschichten.“

Politische Dimension: Fehlender Kurs?

Politisch bleibt die Reaktion auf diese Entwicklung bisher zurückhaltend. Während die BA selbst auf die Konjunktur verweist, kritisieren Sozialverbände und Oppositionspolitiker mangelnde Investitionen in den aktiven Arbeitsmarkt. Die Linkspartei forderte im Bundestag eine Rückkehr zu „menschlicher, individueller Vermittlung“.

Auch die FDP, traditionell zurückhaltend bei Staatsausgaben, äußerte Zweifel am Nutzen der aktuellen Personalpolitik der BA. „Wenn mehr Leute im Apparat sitzen, aber weniger in Jobs vermittelt werden, stimmt etwas nicht“, so FDP-Arbeitsmarktpolitikerin Nicole Bauer.

Lösungsansätze: Rückbesinnung auf Vermittlung?

Um die Vermittlungsleistung zu verbessern, fordern Experten verschiedene Maßnahmen:

  • Erhöhung der Zahl qualifizierter Vermittler, vor allem für besondere Zielgruppen (Alleinerziehende, Migranten, ältere Arbeitslose).
  • Bessere Schulung für digitales Matching, gekoppelt mit persönlicher Betreuung.
  • Kooperationen mit privaten Jobportalen, um das Angebot effizient zu erweitern.
  • Evaluation der internen Struktur: Ist das Verhältnis von Verwaltung zu Beratung noch sinnvoll?

Ein Reformvorschlag von ver.di schlägt vor, eine Vermittlungsquote pro Agenturstandort einzuführen, um Leistungsdruck und Erfolgsorientierung zu stärken – gekoppelt an soziale Kriterien, nicht nur an Zahlen.

Behörde im Wandel – aber auf dem richtigen Weg?

Die Bundesagentur für Arbeit hat sich in den letzten Jahren stark verändert. Der Rückgang der Vermittlungszahlen auf ein historisches Tief ist ein Symptom tieferliegender struktureller und konjunktureller Probleme. Zwar hat sich die BA weiterentwickelt – etwa im Bereich Digitalisierung und Leistungsverwaltung – doch die Kernaufgabe der Vermittlung scheint dabei zunehmend in den Hintergrund geraten zu sein.

Für Arbeitssuchende bedeutet dies: Weniger persönliche Hilfe, mehr Eigenverantwortung – und oft auch Frustration. Politisch bleibt offen, ob der Reformkurs korrigiert wird. Die nächsten Monate werden zeigen, ob die BA wieder zum aktiven Partner der Jobsuchenden wird – oder weiter zur reinen Verwaltungsinstanz mutiert.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert