Die Sommerhitze – Belastungsprobe für Arbeitnehmer
Deutschland erlebt zunehmend heiße Sommer. Temperaturen von über 30 Grad sind keine Seltenheit mehr, Hitzerekorde mit über 40 Grad drohen zur neuen Normalität zu werden. Für viele Menschen bedeutet das nicht nur Schweißausbrüche in der Freizeit, sondern vor allem eine enorme Belastung im Berufsalltag. Ob im Büro, auf der Baustelle oder im Homeoffice – extreme Hitze beeinflusst die Konzentrationsfähigkeit, Leistungsbereitschaft und vor allem die Gesundheit der Beschäftigten. Laut der Krankenkasse DAK stieg die Zahl der hitzebedingten Fehltage im Vergleich zu 2018 um über 12 Prozent auf rund 92.700 Krankheitstage im Jahr 2023.
Der Klimawandel zwingt Unternehmen und Politik zum Umdenken: Wie lässt sich gesundes Arbeiten in Zeiten extremer Temperaturen ermöglichen? Welche Rechte haben Beschäftigte? Und was sind wirksame Lösungen gegen Überhitzung am Arbeitsplatz?
Rechtliche Rahmenbedingungen: Hitzefrei nur bedingt möglich
Ein allgemeines „Hitzefrei“ wie in der Schule gibt es im Arbeitsleben nicht. Dennoch ist der Arbeitgeber verpflichtet, bei hohen Temperaturen Maßnahmen zum Gesundheitsschutz zu ergreifen. Grundlage dafür ist die Arbeitsstättenregel ASR A3.5, die auf der Arbeitsstättenverordnung (ArbStättV) basiert. Demnach gelten folgende Richtwerte:
- Ab 26 °C Raumtemperatur soll der Arbeitgeber Maßnahmen zur Reduzierung der Wärmebelastung ergreifen.
- Ab 30 °C muss der Arbeitgeber tätig werden – zum Beispiel durch Lockerung der Bekleidungsvorschriften, Bereitstellung von Ventilatoren oder Gleitzeitregelungen.
- Ab 35 °C ist der Arbeitsplatz ohne geeignete Schutzmaßnahmen nicht mehr geeignet, um die Arbeit fortzusetzen.
Diese Regelungen gelten übrigens auch für das Homeoffice – sofern der Arbeitgeber davon Kenntnis hat, dass dort unzumutbare Bedingungen herrschen. Dann ist er verpflichtet, auch dort für angemessene Bedingungen zu sorgen. Das Bundesarbeitsgericht hat diese Verpflichtung in mehreren Entscheidungen bestätigt.
Technische und organisatorische Maßnahmen – was Betriebe tun können
In der Praxis bedeutet das: Der Arbeitgeber muss Vorkehrungen treffen, um die Belastung durch Hitze zu reduzieren. Dabei gilt das sogenannte TOP-Prinzip: Technische, organisatorische und persönliche Maßnahmen in genau dieser Reihenfolge. Konkret bedeutet das:
Technische Maßnahmen:
- Sonnenschutz an Fenstern (Jalousien, Rollos, reflektierende Folien)
- mobile Klimaanlagen oder fest installierte Kühlsysteme
- effiziente Lüftung und Nachtkühlung
- Abschaltung unnötiger Wärmequellen (z. B. nicht benötigte Geräte)
Organisatorische Maßnahmen:
- Verlegung der Arbeitszeit in die kühleren Morgen- und Abendstunden (Gleitzeitmodelle)
- Verkürzung der Arbeitszeit bei extremer Hitze
- Zusätzliche Pausen zur Erholung
- Homeoffice-Möglichkeiten, wenn dort bessere Bedingungen herrschen
Persönliche Maßnahmen:
- Trinkwasserbereitstellung
- lockere, atmungsaktive Kleidung (mit Ausnahmen bei Schutzkleidung)
- individuelle Ventilatoren am Arbeitsplatz
Die Gewerkschaft ver.di empfiehlt zudem, Betriebsvereinbarungen zu Hitzeschutz-Maßnahmen abzuschließen, um dauerhaft klare Regelungen für alle Beschäftigten zu schaffen.
Politische Initiativen: Forderung nach „Recht auf Hitzefrei“
Angesichts der steigenden Belastung durch den Klimawandel wächst auch der politische Druck. Die Grünen fordern ein „Recht auf Hitzefrei“ ab einer Raumtemperatur von 26 Grad Celsius. In einem Positionspapier heißt es, Arbeitnehmer müssten dann Anspruch auf Gleitzeit, kürzere Arbeitszeiten, kostenlose Getränke und Ventilatoren haben.
Auch die Linke spricht sich für deutlich stärkere Schutzmaßnahmen aus. Parteichef Martin Schirdewan fordert beispielsweise eine Arbeitszeitverkürzung bei Hitze: „Bei 26 Grad um 25 %, bei 30 Grad um 50 %“, so der Vorschlag. Außerdem fordert die Partei ein spezielles „Hitze-Kurzarbeitergeld“ sowie eine gesetzliche Pause von zehn Minuten pro Stunde bei Temperaturen über 30 Grad.
Bisher fehlt jedoch ein entsprechender Gesetzesentwurf im Bundestag. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) plant eine Reform der Arbeitsstättenverordnung, konkrete Vorschläge oder Fristen wurden bislang jedoch nicht veröffentlicht.
Außenberufe und sensible Gruppen: besondere Schutzbedarfe
Besonders gefährdet sind Menschen, die unter freiem Himmel arbeiten – etwa auf dem Bau, in der Landwirtschaft oder im Straßenbau. Dort entstehen schnell direkte Hitzebelastungen von über 40 Grad, insbesondere bei direkter Sonneneinstrahlung. Arbeitsmediziner raten hier zu:
- Schattenspendenden Überdachungen oder mobilen Sonnensegeln
- frühzeitigem Arbeitsbeginn (z. B. ab 6 Uhr)
- regelmäßigen Pausen im Schatten
- leichter, aber UV-beständiger Arbeitskleidung
Auch schwangere Arbeitnehmerinnen, ältere Menschen oder Personen mit Vorerkrankungen haben ein erhöhtes Risiko für Kreislaufzusammenbrüche oder Dehydrierung. In diesen Fällen kann – nach Vorlage eines ärztlichen Attests – eine Freistellung oder Arbeitszeitverlagerung erfolgen.
Was tun bei Krankheit oder Überforderung?
Wer sich durch die Hitze krank fühlt, hat grundsätzlich Anspruch auf eine Krankschreibung – wie bei jeder anderen Erkrankung auch. Eine einfache Mitteilung „Mir ist zu heiß“ reicht aber nicht. Die Symptome müssen konkret sein: Schwindel, Kopfschmerzen, Erbrechen oder Kreislaufprobleme sind klassische Anzeichen eines Hitzeschlags oder einer Überhitzung.
Vorsicht ist geboten beim eigenmächtigen Verlassen des Arbeitsplatzes: Wer einfach nach Hause geht, riskiert eine Abmahnung oder sogar eine fristlose Kündigung. Wer unsicher ist, sollte sich an den Betriebsrat oder an den Vorgesetzten wenden. Auch die Gewerbeaufsicht oder die Berufsgenossenschaft sind zuständig, wenn Schutzmaßnahmen fehlen oder verweigert werden.
Bußgelder und Sanktionen bei Verstößen
Wenn ein Arbeitgeber bei Temperaturen über 30 Grad keine Schutzmaßnahmen ergreift, riskiert er empfindliche Bußgelder. Laut Arbeitsschutzgesetz können Strafen bis zu 5.000 Euro verhängt werden – bei Vorsatz und wiederholtem Verstoß sogar mehr. In besonders schweren Fällen, etwa bei fahrlässiger Körperverletzung durch unterlassene Schutzmaßnahmen, drohen sogar strafrechtliche Konsequenzen.
Beispiele aus der Praxis zeigen: In mehreren Bundesländern wurden Betriebe von der Gewerbeaufsicht verwarnt oder zur Nachbesserung gezwungen, wenn etwa kein Trinkwasser bereitgestellt wurde oder Klimaanlagen überhitzt waren.
Best-Practice-Beispiele aus Unternehmen
Einige Firmen gehen bereits mit gutem Beispiel voran. So bietet die Berliner IT-Firma „Neosyn“ ihren Mitarbeitenden an, bei über 30 Grad ins Homeoffice zu wechseln. Der Automobilzulieferer „TechPart“ in Stuttgart hat einen „Hitzeplan“ eingeführt: Arbeitszeit beginnt im Sommer um 6 Uhr, es gibt eine verlängerte Mittagspause und Wasserspender auf allen Etagen. Solche Initiativen sorgen nicht nur für bessere Gesundheit, sondern auch für eine höhere Motivation und Bindung der Mitarbeitenden.
Langfristige Anpassungen und städtische Strategien
Neben kurzfristigen Maßnahmen brauchen Wirtschaft und Gesellschaft langfristige Strategien zur Anpassung an den Klimawandel. Dazu zählen:
- Energetische Sanierung von Bürogebäuden (z. B. Dämmung, reflektierende Fassaden)
- Gründächer und Dachgärten als natürliche Kühlung
- Klimatisierte Pausenräume und Rückzugsorte
- Integration von Hitzeschutz in die kommunale Infrastrukturplanung
Die Bundesregierung hat ein Klimaanpassungsgesetz verabschiedet, das Kommunen beim Aufbau von Hitzeschutzplänen mit 650 Millionen Euro fördern soll. Auch Betriebe können durch Förderprogramme des Bundesumweltministeriums profitieren, etwa bei der Installation von Kühlsystemen oder Begrünung von Betriebsgebäuden.
Der Arbeitsplatz der Zukunft muss hitzetauglich sein
Die Hitzewellen der letzten Jahre zeigen deutlich: Das Thema „Arbeiten bei hohen Temperaturen“ ist nicht mehr nur eine Frage des Komforts, sondern des Gesundheitsschutzes. Arbeitgeber stehen in der Verantwortung, Arbeitsplätze so zu gestalten, dass Mitarbeitende auch bei 30 Grad und mehr sicher und produktiv arbeiten können. Technische Innovationen, flexible Arbeitszeitmodelle, politische Initiativen und gesetzliche Anpassungen müssen dabei zusammenspielen.
Gleichzeitig braucht es ein gesellschaftliches Umdenken: Hitzefrei darf nicht als Ausrede verstanden werden, sondern als legitimer Gesundheitsschutz. Denn je besser wir heute vorsorgen, desto resilienter wird die Arbeitswelt von morgen – auch unter der Sonne des Klimawandels.